Zum Hauptinhalt springen

Hinter jedem Gesicht steht ein Modell meiner Erinnerung. Ich male keine namhaften Personen. Meine Porträts sind flüchtige Momente.

Sie spiegeln Schönheit, Verzweiflung, Zerbrechlichkeit, gemischt mit meinen Gefühlen.

Ich lasse mich von alltäglichen Begegnungen mit Menschen inspirieren. Fremde Kulturen, Geschlecht und Rasse sind immer wiederkehrende Themen. Im Malprozess stehe ich im Dialog mit meinem Motiv. Nur so kann ich erkennen, wann ein Bild fertig ist. Es ist der besonderer Moment. Die Kommunikation zwischen mir und meinem Kunstwerk.

(Monika Lehmann)


Mensch sein.

Zu den Porträts von Monika Lehmann

„Was den Menschen gemeinsam ist,
sei das Wesentliche, was sie voneinander unterscheidet, sei geringfügig.“
Antoine de Rivarol

Was macht einen Menschen aus, wenn man diesen von den Merkmalen Geschlecht und Rasse sowie den gängigen Schönheitsidealen, von Hinweisen der zeitlich kontextuierten Umgebung und jeglichen konkreten Narrativen „befreit“? Es ist diese Frage, welche die Kunst von Monika Lehmann aufwirft. Eine wichtige Frage zu den Grundsätzen unserer substantiellen, nackten „Menschlichkeit“, zum Kern unseres Wesens. Die künstlerische Umsetzung des rein anthropomorphen Ausdrucks in Form eines Gesichts als Oberfläche, den die Künstlerin in ihren aktuellen Arbeiten bietet, ist eine beinahe utopische Darstellung der menschlichen Natur. Aus den anonymen Porträts schöpft sie eine Vielzahl unterschiedlicher Charaktere, welche, mal zärtlich und zerbrechlich, mal melancholisch und liebevoll, mit einem Blick aus dem Inneren Tiefgründigkeit und Emotionalität ausstrahlen und den Betrachter auf eine positive Art und Weise berühren. Das Utopische und Ätherische dieser Wesen manifestiert sich bewusst oder unbewusst in der formalen Umsetzung in der Sprache der Malerei aus.

Die Leichtigkeit ist augenscheinlich, als würden die Leinwände und Farben mitsamt Bildprotagonisten luzide und schematisch erscheinen. Keine fassbaren Konturen, keine greifbaren Umrisse und Linien, selbst die dunklen Schattierungen besitzen eine Transparenz. Einzelne Porträts oder Figuren erscheinen auf dem meist hellen Hintergrund der Bilder wie verschwommene, dynamisch-harmonische Kompositionen. Diese Gegebenheit ändert allerdings nichts an der starken Präsenz der porträtierten Gesichter. Oft dunkel umrandete, große Augen vermitteln durch den Blick einen Ausdruck des Innenlebens und erinnern an die bekannten Fayum-Porträts, bei denen die betont großen, sprechenden Augen als „Spiegel der Seele“ dargestellt wurden.

Zum Arbeitsansatz

Trotz einer sehr großen Rezeptionsgeschichte der Gattung des Porträts und der unzähligen Beispiele findet die Künstlerin tatsächlich eine beinahe intuitive und individuelle Herangehensweise zu diesem wichtigen Motiv der bildenden Kunst und ist frei von bewussten Vorbildern. Die einzelnen Arbeitsprozesse bei der Bildentstehung vollziehen sich oftmals temperamentvoll und dynamisch, dann wieder langsam in konzentrierter Ruhe mit einer fein ausdifferenzierten Farbwahl.

Die Künstlerin arbeitet mit Acrylfarben, Pigmenten und diversen Beizen. Ein vorangegangener Entwurf und ein erstes Konzept entstehen vor jedem Bild, dennoch überlässt die Künstlerin im Malprozess vieles auch dem Zufall. Alle Gemälde entstehen in mehreren Schichten, die in- und übereinander verschmelzen. Diesen Prozess versteht die Künstlerin sowohl symbolisch als auch rituell; nämlich als ein umgekehrtes Häuten oder Auftragen der individuellen Oberfläche auf die Quintessenz eines jeden menschlichen Wesens, welche so schwer zu benennen ist.

Tinatin Ghughunishvili-Brück Kunsthistorikerin/Kuratorin Mai 2019